China am Rand der Technologie: schnelle Veränderungen und die Folgen (2/2)

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Von Marco Civico

Vor gut zwei Wochen erreignete sich ein Unfall in der Shanghaier U-Bahn. Ein Zug fuhr auf einen stehenden Zug auf und mehrere Menschen erlitten dabei Verletzungen. Vor gut zwei Monaten, am 23. Juli, erreignete sich in der Nähe der Stadt Wenzhou in der Provinz Zhejiang ein weitaus größeres Zugunglück bei dem viele Menschen starben und mehrere hundert Verletzungen davon tragen mussten. Das brachte das Fass zum Überlaufen, denn in der Folgezeit drückten viele Chinesen, unter anderem in den sozialen Netzwerken des Landes, den Wunsch nach einem gemäßigteren Tempo bei den Veränderungen, denen sich das Land unterzieht, aus.

In diesem zweiten Teil des Artikels blickt Marco Civico auf die Industrie, die rund um die Hochgeschwindigkeitszüge entstanden ist, sowie auf die Nachfrage, welche die chinesische Regierung mit bestimmten Methoden befeuern will. Will sie dabei alle Menschen mitnehmen oder manche einfach ausklammern?

11. Oktober – Die Industrie, die rund um die Hochgeschwindigkeitszüge in China entstanden ist, wird von einem Duopol geprägt. Hier sind die China South Locomotive & Rolling Stock Corporation Limited (CSR) und die China CNR Corporation Limited (CNR) die einzigen Akteure. Die beiden Unternehmen befinden sich im Staatsbesitz und werden vom Staatsrat überwacht. Folglich gibt es keinen internen Verdrängungswettbewerb. Das heißt Mechanismen um das Preisniveau auf dem Markt zu senken, bleiben ungenutzt. Das funktioniert auch als Eintrittsbarriere für den Markt, denn durch die Preispolitik können es sich mögliche Konkurrenten nicht leisten dort als Wettbewerber in Erscheinung zu treten. Allerdings bauen beide Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile durch die Zusammenarbeit mit vielen internationalen Partnern aus, um technologische Innovationen zu erzielen.

CSR kooperiert zum Beispiel mit General Electric und Bombardier, CNR mit Siemens und Altom. Kurz gefasst, die Industrie rund um die Hochgeschwindigkeitszüge wird von niedrigen Produktionskosten durch vergleichsweise billiges Humankapital, sowie solide interne Möglichkeiten zur Finanzierung der Projekte unterstützt. Weitere wichtige Faktoren sind der stetige Zufluss neuer Technologien durch Technologieeinfuhr und die gut integrierte Wertschöpfungskette.

Trotzdem genügt eine technische Analyse nicht, um ein vollständiges Bild der aktuellen Situation zu erlangen. Soziologische Überlegungen sind nämlich für eine gesunde und nachhaltige Entwicklung in dieser Industrie äußerst wichtig. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft bedürfen hier ebenfalls großer Aufmerksamkeit. Die Angelegenheit kann in einer einfachen Frage zusammengefasst werden: Bringt diese Entwicklung mehr Annehmlichkeiten oder Ungleichheiten hervor?

Anlass zur Besorgnis sind steigende Preise für eine Bahnreise. Eine zu beobachtende Entwicklung in der jüngsten Geschichte der Hochgeschwindigkeitszüge ist zweifellos der starke Anstieg der Ticketpreise. Da viele Chinesen aus diesem Grund weiterhin versuchten die Hochgeschwindigkeitszüge zu meiden, wurden die Züge aus dem mittleren Marktsegment kurzer Hand einfach ausrangiert, scheinbar ohne die weiteren Folgen zu bedenken. Dadurch versucht die Regierung die Nachfrage nach Hochgeschwindigkeitszügen zu unterstützen und Skaleneffekte auszunutzen, um das Verhältnis der Kosten zur Dienstleistung mittel- bis langfristig zu reduzieren. Folglich, stehen potentielle Bahnreisende vor den zwei Alternativen: Sollen sie einen Hochgeschwindigkeitszug der Spitzenklasse wählen oder einen der sehr langsamen Züge aus dem unteren Preissegment. Letztere werden von den Chinesen aufgrund ihrer Farbe oft als 绿皮车, lǜ pí chē, also als grüne Züge bezeichnet.

Wird diese Politik die Nachfrage nach Hochgeschwindigkeitszügen wirklich befeuern? Tatsächlich gibt es auch die Möglichkeit, dass dadurch einfach nur eine soziale Schichtung gefördert wird. Die Regierung sollte diese gesellschaftlichen Faktoren nicht unterschätzen, wie Patrick Chovanec, Professor an der Tsinghua Universität in Peking, bemerkte. So sind die Opportunitätskosten der Wanderarbeiter wegen ihrer niedrigen Löhne naturgemäß einfach ziemlich niedrig. Opportunitätskosten sind entgangene Erlöse, die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten zur Nutzung von Mitteln nicht wahrgenommen werden. In diesem Fall ist die beste Alternative für Wanderarbeiter einfach nicht zu reisen.

Zum Schluss muss man die ökonomischen Aspekte dieses Problems untersuchen. Erst einmal ist es notwendig eine gründliche Kostenanalyse durchzuführen, Kosten und Gewinne müssen daher in Beziehung gesetzt werden. Das Ziel dieser Analyse ist, wichtige Haltepunkte für die Züge ausfindig zu machen und die überflüssige Haltestellen auf der Strecke zu eliminieren. Dadurch können die Erträge erhöht werden. Nonstop-Verbindungen verdienen deshalb besondere Aufmerksamkeit. Ein Referenzmodell hierfür könnte die japanische Eisenbahn-Schnellfahrstrecke zwischen Tokyo und Shin-Osaka sein. Auf dieser Strecke verkehrt der japanische Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen. Drei Zugarten fahren ebenfalls auf dieser Strecke, Kodoma,Hikari und Nozomi (auf Deutsch: „Echo“, „Licht“ und „Hoffnung“). Nur der Kodoma hält an allen Bahnhöfen, während die anderen Züge weniger Halte machen, um einen schnelleren Dienst anzubieten. Außerdem könnte es wichtig sein, mögliche Nebeneffekte des Eisenbahnnetzes zu berücksichtigen. In der strategischen Analyse der Haltestellen könnte von Interesse sein, positive Auswirkungen des Eisenbahnnetzes auf den Wert von Immobilien in den angebundenen Städten zu identifizieren. Wenn eine Stadt zum Beispiel gut an Shanghai gebunden ist, könnte sie zum Beispiel das Interesse von pendelwilligen Leuten auf sich ziehen. Anders gesagt, die Immobilienpreise in den umliegenden angebundenen Städten könnten durch eine Anbindung steigen.

Der Weg zu einem Eisenbahnnetz, dass die Mehrheit seiner Kunden befriedigt ist lang und steinig, aber gute Ergebnisse können durch die richtigen Schritte und die Berücksichtigungen der verschiedenen Fragen durch die Regierung und die Unternehmen erzielt werden. Vielleicht ist es nun an der Zeit, die Wichtigkeit der Qualität des Wirtschaftswachstums zu herauszustellen. Quantitative Aspekte sollen hierbei zunächst ausgeklammert werden. Es scheint nach dem Zugunglück jedenfalls so zu sein, dass viele Chinesen ernsthaft damit angefangen haben, eine höhere Lebensqualität einer zweistelligen Wachstumsrate vorzuziehen.

Hier können Sie den 1. Teil des Artikels lesen.

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