Der Fall Gucci zeigt ein Problem der chinesischen Zentralregierung und weiteren Reformbedarf auf

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Von Timothy Lam

17. Oktober – Die italienische Luxusmarke Gucci befindet sich seit Ende der letzten Woche unter heftigen Beschuss. Fünf Mitarbeiter im Flagshipstore der Marke in der südchinesischen Stadt Shenzhen gingen mit Beschwerden über die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen des Unternehmens an die Öffentlichkeit.

Die fünf Mitarbeiter schickten einen Brief mit vielen Einzelheiten an die chinesische Zeitung Global Times. In diesem Brief beschrieben die Verfasser Gucci als „extravagante Bekleidung unter der sich Flöhe versteckten“ und die Arbeitsbedingungen wurden mit „Fliessbandarbeit“ gleichgesetzt. Des weiteren wurden 100 Regeln genannt, welche das Unternehmen ihren Mitarbeitern in den Läden vorschrieb.

Einige dieser Vorschriften besagten, dass die Angestellten um Erlaubnis bitten mussten, wenn sie eine Toilette aufsuchen oder Wasser trinken mussten. Die Zeit, die ihnen für einen Toilettenbesuch zur Verfügung stand, wurde auf fünf Minuten begrenzt. Viele der Vorschriften, eine davon zwang die Mitarbeiter bis zu 14 Studen täglich zu stehen, führten dazu, dass viele Mitarbeiter schwer erkrankten. Bei zwei weiblichen Angestellten kam es infolgedessen sogar zu Fehlgeburten.   

Ein Angestellter, der den Brief mit verfasst hat und als Pseudonym den chinesischen Nachnamen He nutzt, schrieb an die Zeitung Global Times, dass „viele von uns durch diese inhumanen Arbeitsbedingungen Berufserkrankungen davontrugen. Ich leide seitdem unter Magenproblemen und habe ein krankheitsbedingtes Problem mit der Blase und den Harnwegen“. Zusätzlich zu den zwölf bis 14 Stunden Arbeit am Tag wurden die Angestellten oft gezwungen bis lange nach Geschäftsschluss um 10 Uhr abends im Laden zu bleiben, oft mussten sie noch bis drei Uhr in der Früh Inventur im Laden oder im Warenhaus durchführen. 

Diese Überstunden wurden aber niemals beglichen oder verbucht. Die fünf Angestellten, alle von ihnen waren seit mehr als zwei Jahren bei dem Unternehmen angestellt, behaupten, dass das Unternehmen jeden von ihnen im Durchschnitt 100.000 CNY (cirka 11.232 EUR) für unbezahlte Überstunden schuldet.   

Das Büro für Personalangelegenheiten im Shenzhener Bezirk Luohu berichtete der Global Times, dass es wegen der unbezahlten Überstunden nichts unternehmen könne. Wegen Unstimmigkeiten auf beiden Seiten, wie man Überstunden berechnet sowie die Mehrdeutigkeit der „Überstundenklausel“, könne man Gucci also nicht dazu zwingen seine Angestellten zu kompensieren.    

Arbeitnehmer wurden gezwungen gestohlenes oder verschwundenes Inventar zu bezahlen. Der Betrag wurde ihnen einfach vom Gehalt abgezogen. Vom August 2009 bis zum August 2011 mussten die Angestellten in Shenzhen mehr als 70.000 CNY (cirka 7.863 EUR) durch Gehaltsabzüge für die 16 Gegenstände bezahlen, die dort verloren gingen.  

He berichtete der Nachrichtenagentur Xinhua ebenfalls, dass die Angestellten für diese Gegenstände bezahlen mussten, obwohl diese versichert waren. „Wenn Ware gestohlen wurde oder verloren ging, kassierte Gucci dadurch doppelt (sowohl bei den Angestellten als auch beim Versicherungsunternehmen)“. 

Als Gucci zu einer Stellungnahme bezüglich der Vorfälle befragt wurde, verweigerte das Unternehmen zunächst einen Kommentar. Seitdem hat Gucci aber gegen die Vorwürfe Stellung bezogen. „Gucci unterstützt oder toleriert keine der ihm vorgeworfenen Verstöße. Gucci führte…eine Serie von Maßnahmen durch, der Ersatz…des Managements und der assistierenden Leitung der Läden eingeschlossen“. 

Der Hersteller von Luxusartikeln verkündete zudem die Beauftragung von externen Beratern, welche die Geschäftspraktiken in den 42 chinesischen Läden unter die Lupe nehmen sollen. Zudem hat Gucci für seine Angestellten eine Stelle eingerichtet, wo Beschwerden vertraulich entgegengenommen und behandelt werden können.  

Gucci hob hervor, dass die Angelegenheit ein Problem des schlechten Managements in den chinesischen Filialen des Unternehmens ist und nichts mit der Marke an sich zu tun hat. Viele betrachten das aber eher als einen Versuch, die Schuld bei anderen zu suchen anstatt sich selber der Verantwortung zu stellen. Dieser Fall von unwürdigen Arbeitsbedingungen unterstreicht ein wachsendes Problem in China, wo eine Vielzahl von ausländischen Investoren in den chinesischen Markt eintritt. Viele ausländische Unternehmen in China erlauben es ihren Arbeitnehmern nicht sich zu organisieren und Gewerkschaften zu gründen. Das macht es für den durchschnittlichen chinesischen Arbeitnehmer schwer sich gegen den Missbrauch seiner Rechte zu wehren oder sogar um solche Vorfälle zu beweisen.  

Obwohl Gewerkschaften für den durchschnittlichen Arbeitnehmer sehr von Vorteil sein können, sind ausländische Unternehmen und die chinesische Regierung gegenüber Gewerkschaften in privaten Unternehmen sehr skeptisch. Die chinesische Regierung erlaubt nur schwache Gewerkschaften in staatlichen Unternehmen, während ausländische Unternehmen solche Institutionen als störend und teuer empfinden. Besonders wenn Angestellte dadurch versuchen an höhere Gehälter heranzukommen. Allerdings sollte erwähnt werden, dass es viele positive Auswirkungen gibt, wenn die Gründung von Gewerkschaften in ausländischen Unternehmen gestattet wäre. Das wäre immerhin besser als eine gesamte Belegschaft, die ein Unternehmen bestreikt. Wenn es Konflikte gäbe, könnten diese durch die Einrichtung einer solchen Institution schneller bereinigt werden. Es gäbe Ansprechpartner auf beiden Seiten. Die chinesische Zentralregierung muss die richtige Balance finden: zwischen Arbeitnehmerrechten einerseits und der Stimulation eines günstigen Investitionsklimas andererseits.        

Einige Analysten meinen allerdings auch, dass der unrechtmäßige Missbrauch der Arbeiternehmerrechte nicht nur auf ausländische Unternehmen zurückzuführen ist, sondern auch auf die chinesischen Behörden. Obwohl Chinas Regierung ein klares Arbeitsrecht und Regularien verabschiedet hat, ist die Durchsetzung dieser mit Bezug auf ausländisch investierte Unternehmen stark limitiert. Hauptsächlich wollen lokale Regierungen, dass weiterhin ausländische Investoren in das Land kommen.  

Eine Meinungsumfrage aus diesem Jahr besagt, dass die Attraktivität ausländischer Unternehmen bei chinesischen Arbeitnehmern im Vergleich zu Unternehmen in Staatsbesitz abgenommen hat. Ein Hauptgrund dieser Entwicklung: die schlechte Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten in ausländisch investierten Unternehmen. Die mangelnde Durchsetzung dieser Gesetze zeigt ein wichtiges Problem der chinesischen Behörden auf. Die Zentralregierung verabschiedet Gesetze und Regularien. Bei der Durchsetzung dieser werden die Provinzbehörden alleine gelassen. Das führt zu einer Reihe von Problemen. 

Laut dem „Center for American Progress“ ist das Hauptproblem, dass die Durchsetzungskraft der chinesischen Zentralregierung zu schwach ist. „China delegiert oft viel behördliche Macht an die Regierungen in den Provinzen und in den Lokalitäten damit volkswirtschaftliche und umweltfreundliche Ziele erreicht werden, ohne allerdings selber eine notwendige Kontrollfunktion zu gewährleisten und die Erreichung dieser Ziele zu managen“. 

Viele Provinzregierungen weigern sich daher offensichtlich der Zentralregierung zu gehorchen. Ein großer Teil der Einnahmen der Provinzregierung stammt nämlich von Steuern, die genau von solchen Unternehmen entrichtet wurden und viele Provinzen besitzen sogar Anteile an diesen Unternehmen. Daher ist klar, dass es gar nicht im Interesse dieser Provinzregierungen ist, die Arbeitnehmerrechte zu unterstützen oder zu stärken, indem man beispielsweise die Arbeitsbedingungen verbessert oder die Gehälter der Angestellten erhöht. Das würde einerseits zu weniger Einnahmen für die Provinzregierung führen und andererseits würde die betroffene Lokalität dadurch unattraktiver für diejenigen ausländischen Investoren werden, die nach billigen Arbeitskräften suchen.      

Yang Qianwu, Rechtsanwalt der Shenzhener Kanzlei Dacheng, ermutigt die mit der Einhaltung der Arbeitnehmerrechte beschäftigten Behörden und Organe Schritte zu unternehmen, um die Rechte der Arbeitnehmer nach den Ereignissen bei Gucci besser zu schützen.

Wenn die Zentralregierung nicht strenger mit den Provinzregierungen verfährt, die diese Gesetze ignorieren, braucht man sich in Peking nicht über die Welle von landesweiten Protesten zu wundern, die man eigentlich durch das Verabschieden dieser Gesetze vermeiden wollte.  

Chinas Heer an Arbeitskräften unterzieht sich gerade einem Wandel. Die Tage an denen ungebildete Arbeiter bereitwillig bei niedrigen Lohn und in entbehrungsreicher Umwelt arbeiten sind vorbei. Die heutige Generation von Arbeitskräften ist gebildeter, vernetzter und sie erwartet einen höheren Lebensstandard. Diese Generation von Arbeitskräften wird wahrscheinlich nicht unter den unwürdigen Arbeitsbedingungen sowie bei minderwertiger und monotoner Arbeit ein Dasein fristen.    

Die New York Times behauptet, dass je vernetzter die Arbeitnehmer sind umso mutiger sind sie auch, um mehr Rechte einzufordern, wie bei den Mitarbeitern von Gucci zu beobachten war. „…der Zugang zum Internet und die Werbung hat die Erwartungen der jungen Chinesen erhöht. Diese wollen im Gegensatz zur älteren Generation mehr als nur die einfache Unterkunft und Verpflegung. Frühere Generationen junger Chinesen, die entbehrungsreich auf dem armen Land aufwuchsen, hätten ein solches Los noch akzeptiert“. 

Die junge Generation von heute versteht dagegen sehr gut, dass mehr Macht in Gruppen erkämpft werden kann. Sie hat damit begonnen diese Veränderungen selbst einzufordern und sie wird dies weiterhin tun, solange die Zentralregierung ihre Gesetze bei der Lokalregierung nicht durchsetzt.

Wenn China seinen Lebensstandard verbessern will, mussen es Schritte durchführen, welche die Rechte der Arbeitnehmer ernst nimmt. Arbeitskräfte, deren Rechte von ausländischen Unternehmen verletzt wurden, werden sich immer weniger für ausländische Unternehmen interessieren, die in das Land investieren wollen. Dadurch könnte die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes gefährdet werden.   

Bei Fragen zu Wirtschaftsthemen, Steuern, Buchhaltung und Unternehmensgründungen in Asien kontaktieren Sie bitte:

Fabian Knopf, Sr. Associate, Co-Head of German Desk, Dezan Shira & Associates
Fabian.Knopf@dezshira.com

Silke Neugebohrn, Sr. Associate, Co-Head of German Desk, Dezan Shira & Associates
Silke.Neugebohrn@dezshira.com

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